Nina verbringt ein Auslandsjahr in West Vancouver

Kanada weckt neue Leidenschaften und Perspektiven

Die 15-jährige Nina aus Duisburg in Nordrhein-Westfalen ist seit August 2018 mit Breidenbach Education in Kanada. Sie besucht eine Schule in West Vancouver, einer Nachbarstadt von Vancouver in British Columbia. Die Stadt liegt direkt an der Westküste am Pazifik. Für Kanadablog.de hat sie in einem Interview über ihr Auslandsjahr Auskunft gegeben. 



Liebe Nina, du wirst noch bis Ende Juni in Kanada sein. Kannst du dich noch an die ersten Tage dort erinnern?

 

Ich bin am 17. August 2018 angekommen, also etwas früher als die meisten Internationals, da ich noch an einer Orientierungswoche meines Schuldistriktes teilgenommen habe. Seit meiner Ankunft hier in Kanada lebe ich in einer "traditionellen" Gastfamile mit Mutter, Vater und zwei Töchtern. Die jüngere Tochter ist in meinem Alter und hat mir viel über das Leben als Teenager in Vancouver beigebracht. Konzerte, Einkaufszentren usw. kannte ich deshalb schon bevor die Schule anfing. Meine ältere Gastschwester ist gerade auf einer Uni in Ontario, ich durfte sie aber in den Winterferien kurz kennenlernen, was das Familienleben praktisch komplettiert hat.

 

Du fühlst dich also wohl in deiner Gastfamilie?

 

Ja! Was meine Gasteltern angeht, hat Breidenbach Education mit der Auswahl ganze Arbeit geleistet! Unsere Persönlichkeiten sind zum Glück sehr kompatibel, wir sind alle sehr "laid back" und lachen gerne, auch wenn mal was schiefläuft. Nur zwei Wochen nachdem ich eingezogen war, hat mein Gastvater zum Beispiel unser Abendessen in Flammen gesetzt. Er hat versucht Burritos zu machen, doch als meine Gastmutter nach ihnen schauen wollte, waren die Burritos nur noch eine große Flamme! Wir lachen heute noch über diese Situation! 

Am dankbarsten bin ich allerdings für meine mexikanische Gastschwester. Auch sie flog erst am Anfang des Jahres nach Kanada, und wir haben so viele Herausforderungen gemeinsam gemeistert, wie beispielsweise den ersten Tag in der Schule.

 

Kannst du die Gegend beschreiben, in der du nun gerade lebst?

 

Die Stadt West Vancouver, in der ich lebe, ist ein Vorort von Vancouver. Sie liegt praktisch zwischen dem Pazifik, den Bergen und der größten und internationalsten Stadt in British Columbia. Das hat den Vorteil, dass auch exotischere Sportarten wie Segeln oder Ski fahren hier günstig zugänglich sind. Beide wurden an meiner Schule auch als Sportclubs angeboten. Auch unabhängig von jeglichen Aktivitäten ist die Aussicht natürlich unglaublich, gerade im Winter. Da erstrecken sich riesige, schneebedeckte Berglandschaften über dem glitzernden Ozean, wirklich unbezahlbar. Mein persönlicher Favorit ist allerdings das Bild von Downtown Vancouver spät am Abend, also atemberaubende Wolkenkratzer hell erleuchtet im Dunkeln.

Was ich auch toll finde, sind die vielen Parks, in denen man sich gemütlich mit Freunden ans Wasser setzen kann, oder auch der "Seawalk", eine Joggingstrecke direkt am Meer. Wenn man mal richtig ausgehen möchte, hat gerade erst ein Kino im Shoppingcenter eröffnet. Das liegt etwa 15 Minuten von meiner Schule entfernt. Zu all diesen Aktivitäten kommt man zum Glück sehr einfach mit Bussen, das ist in Kanada keine Selbstverständlichkeit. Außerdem ist die größte Universität British Columbias, die University of British Columbia, auch nur eine Stunde entfernt. Ich habe dort mit meinen Freunden an einigen Workshops und Vorlesungen teilgenommen, eine Möglichkeit, die ich in Deutschland noch nie hatte.

 

Apropos Deutschland – wie hast du doch denn bei deiner Abreise nach Kanada gefühlt?

 

Als ich mit meinen Eltern am Flughafen stand, habe ich kaum realisiert, dass es jetzt los geht. Ich war einfach in den Wochen zuvor so aufgeregt gewesen, dass meine Aufregung an dem tatsächlichen Tag gar nicht so groß war. Aber als meine Mama angefangen hat, zu weinen, habe ich doch ein paar Tränen vergossen. In dem Moment habe ich einfach gesagt "Augen zu und durch", ein Motto, das mir in vielen Situationen dieses Jahr behilflich war. Ich habe daran geglaubt, dass ich das alleine kann. Und ich konnte es. Der Flug nach Kanada war mein erster Flug alleine und ich hatte schon ein wenig Panik. Das Team von Breidenbach Education hatte mich aber mit zwei weiteren Teilnehmern auf den Flug gebucht, die auch für ihr Auslandsjahr nach West Vancouver geflogen sind. Das hat mir viel Sicherheit gegeben und war besonders auf dem Langstreckenflug sehr angenehm. Erst auf kanadischem Boden wurde es dann komplizierter, da man sein Visum abholen und den Fahrer finden musste... Das Handbuch, das ich dafür von Breidenbach Education bekommen habe, war aber sehr hilfreich und der ganze Prozess ist viel einfacher als es scheint. Sobald ich mein Visum hatte, wurde ich dann auch direkt zu meiner Gastfamilie gefahren und mein Auslandsjahr in Kanada begann.

 

Wie war dein Eindruck von Land und Leuten nach deiner Ankunft?

 

Kanadier sind unter den freundlichsten und sozialsten Menschen, die ich je treffen durfte. Schon am ersten Tag in Kanada, als meine Gastmutter mir das örtliche Communitycentre zeigte, unterhielt sie sich mit wildfremden Leuten im Aufzug. Zumindest in Deutschland hatte ich vorher noch nie eine komplette Konversation im Fahrstuhl gehalten, aber Kanadier sind einfach sehr "outgoing". Dementsprechend einfacher ist es auch, neue Leute kennenzulernen. Eine Sorge, die sich zum Glück als unwahr herausgestellt hat, ist, dass ich wegen meines Akzentes oder einfach meines Fremdseins gemieden oder sogar ausgelacht werden könnte. Kanada ist, genau wie die USA, ein sogenannter "Melting Pot". Menschen von überall wandern seit Jahrhunderten nach Kanada aus, und viele Kanadier sehen sich heute noch als Immigranten. Ein großer Teil ihrer Kultur ist deshalb Toleranz. Ich kenne nicht einen Kanadier, der jemanden für seine Aussprache auslachen würde, selbst unter denjenigen, mit denen ich nicht befreundet bin. 

 

Wie verlief der Start an deiner kanadischen Schule?

 

Der Start in meiner neuen Schule war in mancherlei Hinsicht wie der Wechsel von der Grundschule auf das Gymnasium. Nur waren die ersten zwei Tage an meiner Schule sehr eng getaktet, also man hatte zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten zu sein. Deshalb waren die ersten Tage nicht besonders stressig, vor allem da wir kurze "Kennenlernstunden" mit jedem Lehrer hatten. Besonders hilfreich war aber vor allem Trick 17: Einfach fragen. Teilweise haben mich Mitschüler direkt vor meine Klassentür geführt, obwohl sie eigentlich woanders hinmussten. Hier zeigt sich wieder die hilfsbereite Kultur Kanadas, egal wie komisch ich mir auch selbst vorgekommen sein mag, die Kanadier waren nie genervt.

 

Ist der Unterricht ähnlich wie in Deutschland?

 

Der Unterricht in den traditionellen Fächern wie Mathe unterscheidet sich nicht besonders von dem in Deutschland. Ich habe jedoch das Glück, das West Vancouver sehr wohlhabend ist, deshalb ist auch meine Schule, die West Vancouver Secondary, sehr gut ausgestattet. Jeder Raum hat ein Whiteboard, einen Overheadprojektor und einen Laptop. Es gibt mehrere sehr moderne Turnhallen, Tennisplätze und einen großes Footballfeld. Meine Schule hat eine eigene Schreinerei und Autowerkstatt, da man beides als Kurse belegen kann.

Trotzdem sind die kanadischen Schulen in den meisten Fächern nicht so weit wie Deutschland und man sollte sich darauf einstellen, viel nachzuholen, wenn man zurück ist. Dafür lerne ich allerdings einiges, das ich in Deutschland gar nicht gelernt hätte. Es ist einfach ein komplett anderer Lehrplan. An meiner Schule (und soweit ich weiß an den meisten kanadischen Schulen) kann man aber in individuellen Fächer in andere Klassenstufen gehen. Eine Freundin von mir hat beispielsweise Französisch in der 12. genommen, obwohl sie in der 10. Stufe war. Ich selbst nehme Mathe 11.

 

Hast du schnell Freunde gefunden? 

 

Um Freunde zu finden, muss man einfach mutig sein. Obwohl ich normalerweise nicht die sozialste Person bin, habe ich mich am Anfang des Jahres einfach mal neben ein paar Mädels gesetzt und mich vorgestellt. Nachdem die Konversation ein wenig in Gang gekommen ist, habe ich nach deren Nummer gefragt. Natürlich bin ich mir erstmal doof vorgekommen, aber wenn das klappt, dann ist das Ganze ein Selbstläufer, weil man in einem Freundeskreis drin ist. Ich habe am Anfang des Jahres ein Mädchen namens Anna kennengelernt. Sie hat mich dann ihren Freunden vorgestellt, die mich wiederum ihren Freunden vorgestellt haben. Letztlich habe ich dann mit Anna und den anderen eine tiefe Freundschaft entwickelt. Ich habe aber auch außerhalb dieses Kreises einige Freunde, die ich vor allem durch außerschulische Aktivitäten kennengelernt habe. 

Ab einem bestimmten Punkt wurde es einfacher, Freundschaften zu schließen. Der Kunstraum meiner Schule war ein echter 'place to be', eine Art Knotenpunkt für alle, die Memes und Musik mögen. In den Pausen sind also alle ab in den Kunstraum, haben sich unterhalten und gelacht, egal ob man sich kannte oder nicht. Für mich sind die Erinnerungen an diesen Raum magisch und er hat mich zu einem offeneren Menschen gemacht. Dort habe ich viele meiner heutigen Freunde kennengelernt.

 

Wie sieht dein Alltag aus? 

 

Morgens stehe ich ungefähr zur selben Zeit auf wie in Deutschland und werde dann gegen 8 Uhr von meiner Gastmutter zur Schule gefahren. An Dienstagen gehe ich aber früher aus dem Haus, da das Tennisteam meiner Schule morgens Training hat. Die Schule beginnt um 8:30 Uhr, also eine halbe Stunde später als meine deutsche Schule. Oft gehe ich nach der Schule nicht direkt nach Hause, sondern treffe mich mit meinen Freunden. Wir trinken dann gerne einfach einen Kaffee bei Tim Hortons. An vielen Tagen habe ich direkt nach der Schule Sport, z.B. Tennis- oder Schwimmtraining. In den Community Centers kann man für sehr wenig Geld hochwertiges Training in vielen Sportarten erhalten, was auch von einigen Leuten nach der Schule genutzt wird. Sonst mache ich abends meist Hausaufgaben oder schaue mir Filme an. Ehrenamt wird in Kanada großgeschrieben und auch ich arbeite ehrenamtlich im Vancouver Aquarium. Meine Arbeit dort spielt sich vor allem am Wochenende ab – das macht großen Spaß. An Sonntagen gehe ich gerne mit meinen Freunden in die Innenstadt, also Vancouver, oder ich ruhe mich einfach ein wenig aus.

 

Welche Fächerkombination hast du gewählt und wie gefallen dir die Kurse?

 

In Kanada gibt es neben den klassischen Fächern häufig auch einige exotische Optionen. Ich hatte drei Wahlfächer und habe Spanisch, Kunst und Gitarre gewählt. Sonst hätte ich auch noch Fächer wie Textiles, Foods and Nutrition oder Rock Band nehmen können. 

Spanisch ist an meiner Schule komplett anders als in Deutschland. Ich lerne hier durch Lieder und Geschichten, nicht durch Vokabeln und Grammatik pauken. Ich war am Anfang selbst skeptisch, doch muss sagen, dass ich durch diese Methode sehr viel gelernt habe, gerade auch Alltagssprache. Inzwischen lesen wir als Klasse schon kleine Bücher mühelos!

Genauso überrascht war ich auch von Kunst. Kunst ist in Deutschland mein schwächstes Fach und ich habe es eher aus Not als aus Passion gewählt. Doch der kanadische Lehrplan beinhaltet keine Kunstgeschichte, oder Theorie, sondern reine Kreativität. Jeder Schüler führt ein Sketchbook an dem jede Stunde gearbeitet wird, mit der Hilfe des Lehrers, aber aus der eigenen Kreativität. Niemals hätte ich gedacht, dass ich im Stande bin meine Ideen in Bildern umzusetzen, doch mein Kunstlehrer hat es aus mir rausgeholt. Neue Techniken habe ich sowohl von ihm als auch von meinen Klassenkameraden gelernt und die auf meine eigenen Werke angewandt. Auch wenn es eine sehr untraditionelle Art zu lernen war, ich werde nie wieder mehr aus einer Klasse mitnehmen als dieser.

Gitarre war dagegen wohl das einzige Fach, dass ich im Nachhinein lieber getauscht hätte. Ich persönlich bin einfach nicht für Instrumente gemacht, obwohl es häufig Spaß gemacht hat. Trotzdem habe ich in diesem Kurs eines meiner Lebensziele erreicht. Ich kann "Stairway To Heaven" auf der Gitarre spielen.

 

Hast du auch Plätze außerhalb deines Wohnortes kennengelernt?

 

Während der Orientierungswoche war ich bereits in Victoria und später in Nanaimo auf Vancouver Island. Nanaimo ist das absolute Gegenteil von meiner Heimatstadt Düsseldorf; die Leute dort kennen sich seit 40 Jahren und jeder geht in Jogginghosen auf die Straße, was total cool ist. In Düsseldorf würde man das sicher nicht machen. Besonders freue ich mich jetzt auf meinen anstehenden Ausflug nach Seattle, was für nordamerikanische Verhältnisse ein Katzensprung von Vancouver aus ist. Ich bin ein großer Fan der Band Nirvana, die ja aus Seattle kommt. Auf dem Ortseingangsschild heißt es "Come as you are" und das werde ich auch!

 

Spielt Heimweh während deines Auslandsjahres für dich eine Rolle?

 

Heimweh ist ein sehr individuelles Gefühl. Ich persönlich bin zum Glück ein recht eigenständiger Mensch und habe kaum Heimweh gehabt. Trotzdem habe ich natürlich häufig an meine Familie und Freunde gedacht, aber mit einem langen Telefonat legte sich das dann bei mir wieder. Was ich am meisten vermisst habe, ist immer jemanden zu haben mit dem man über alles reden kann, wie zum Beispiel meine Mutter oder meine beste Freundin.

Das einzige was man nicht machen sollte, ist jeden Tag mit seiner deutschen Familie zu telefonieren! Das verstärkt Heimweh und verhindert die Integration. Ich kannte ein Mädchen, dass genau das gemacht hat und sie ist dann leider schon nach vier Wochen wieder abgereist, weil sie so starkes Heimweh hatte. Die allermeisten Austauschschüler haben aber keine Probleme. Man muss sich nur fragen, ob man für zehn Monate seine Familie und Freunde verabschieden kann. Wenn die Antwort "Ja" lautet, wird Heimweh wahrscheinlich kein sehr großes Problem sein. Man lernt aber auf große Distanz auch seine eigene Familie zu schätzen und wie ähnlich man sich letztlich ist. Zum Beispiel hat sich jetzt wo ich vieles für mich selbst kaufe herausgestellt, dass ich ein totaler Sparfuchs bin, genau wie mein Vater.

 

Wie kam es dazu, dass du ein Auslandsjahr in Kanada machen wolltest?

 

Ich hatte schon immer Nomadenblut in mir und habe meine Eltern schon früh angebettelt zumindest nach England zu ziehen, aber sie haben einfach nicht nachgegeben. Also musste ich den Umzug selbst in die Hand nehmen. Interessanterweise war Kanada zunächst gar nicht meine erste Wahl, da ich schon immer Fan von Harry Potter und dem britischen Akzent war. Ich wollte stattdessen nach Großbritannien, am liebsten natürlich London. Eigentlich wusste ich aber, dass ein europäisches Land mein Fernweh nicht befriedigen würde. Über die Sommerferien kam dann die Familie meiner besten Freundin zu Besuch, die im fernen Kanada lebt. Ich unterhielt mich lange mit ihrem Cousin und kam begeistert wieder nach Hause. Das ist es! Eine ganz neue Kultur und eine Diversität von Land und Leuten, die man sonst höchstens noch in den USA findet, nur ohne Trump! Die Kirsche auf der Sahnetorte war allerdings, dass ich den Ort meines Austausches praktisch frei wählen konnte, was in den meisten Ländern ja nicht der Fall ist. Ich bin ein absoluter Stadtmensch und meine Wahl war letztendlich zwischen Toronto und Vancouver. Vancouver hat jedoch mit wunderschönen Landschaften überzeugt. Gerade meine Eltern schätzten auch das kanadische Bildungssystem wert, das als eine der besten der Welt gilt. Da ich die 10. Klasse nicht wiederholen wollte, war auch für mich eine adäquate Bildung im Gastland wichtig. Für mich war Kanada die absolut richtige Wahl. Kanada hat mich verändert. Es hat mich offener gemacht, mich neue Leidenschaften entdecken lassen, mir eine neue Perspektive gegeben, es hat mich kanadischer gemacht. Bald ist mein Abenteuer nun vorbei, doch Vancouver und Kanada werden für immer ein Teil von mir sein. Das kann mir keiner mehr nehmen!

 

Vielen Dank, liebe Nina für das tolle und ausführliche Interview.